In einem Land mit über 50.000 Gesetzen und Verordnungen sollte man als sicher unterstellen, dass der Begriff „Regional“, der inflationär in der Werbung von Discountern, Klopsbratereien, Verbrauchermärkten, sogar bei Stromanbietern grell aufflackert, gesetzlich definiert ist.
Weit gefehlt! Jeder Händler kann mittels eines Stechzirkels für sich definieren, ob ein Umkreis von 10, 30 oder 100 Kilometern um sein Regal „regional“ ist. Ungefähr so, als ob man es dem Autofahrer selbst überlassen würde die angemessene Geschwindigkeit in der Stadt für sich selbst auf 10, 30 oder 100 km/h zu definieren.
Damit nicht genug: auch wenn z. B. ein Aal nur die letzten paar Tage seines Lebens in einem Käfig im Steinhuder Meer verbracht hat, ist er ein „regionales Produkt“. Ein Prinzip, dass sich auf diverse Produkte und erst recht auf „verarbeitete“ anwenden lässt. Der Foodie schaut sehr betroffen, der Vorhang zu und alle Fragen offen?
Nun ist eine Definition von Region zugestanden ein schwieriges Unterfangen, es hängt stark vom Blickwinkel ab. Sie kann sich an Hand der Ausbreitung eines Dialekts, den Einpendelradius einer Großstadt, aus der Kultur- oder Siedlungsgeographie ableiten, um nur einige Denkansätze zu benennen.
Stellen sich zwei Fragen: Schaffen wir als Slow Food, die wir den Begriff Regional in unserem Wappenschild führen, eine solche Definition? Und: brauchen wir sie?
Immerhin hat sich das Umweltbundesamt daran versucht: „Eine gesetzliche Definition des Begriffs „regional“ gibt es derzeit im deutschen Recht … nicht. Es handelt sich um einen weiten Begriff, der keine trennscharfen Grenzen hat. Zudem variiert die Verkehrsauffassung verschiedener Marktteilnehmer. Verbraucher verstehen unter Region entweder ein Bundesland, einen Landkreis oder einen bestimmten Naturraum. Er geht von einem engeren Begriff aus, der sich z. B. nicht auf das gesamte Großraumgebiet bezieht. Im Handel hingegen wird teilweise das gesamte Absatzgebiet, das sich über mehrere Bundesländer erstreckt, zur Region erklärt. Diese grobe Unterscheidung zwischen den verschiedenen Marktteilnehmern ist unter anderem auf ihre unterschiedlichen Motive zurückzuführen. So verbinden Verbraucher mit Regionalität bspw. kurze Wege und frische Produkte. Demgegenüber stellt Regionalität für den Handel ein Mittel zur Absatzförderung dar, so dass ein möglichst weiter Begriff vorteilhaft ist. Allerdings weichen bereits innerhalb dieser Verkehrskreise die individuellen Vorstellungen stark voneinander ab. Insbesondere ergeben sich regionale Unterschiede bei der Verkehrsauffassung.” (Quelle)
Soweit so unklar. Immerhin die nicht wirklich überraschende Erkenntnis, dass der Handel kaum als geeigneter Partner für eine Definition hervorstechen dürfte.
Aber der davor gelagerte Bereich der Produzenten – und da ist die Sicht von Slow Food, die neben dem „eigentlichen“ Produzenten auch den Verbraucher qua Nachfragemacht als Mitproduzenten definiert, ein geeigneter Ausgangspunkt.
Region hat sich in vorindustrieller Zeit mit dem Begriff Heimat verbunden, ein Begriff der eine hohe emotionale Komponente hat – und durch vielfältigen Missbrauch leider etwas diskreditiert ist. Dieses im Mittelalter entstandene „Regions-Heimatbewußtsein“ leitete sich ab aus ganz realen, nicht wirklich beeinflussbaren Gegebenheiten: aus der natürlichen Begabung der jeweiligen Landschaft für eine – eingeschränkte – Produktvielfalt und der leichten Erreichbarkeit der jeweiligen Märkte. Diese (lokalen, regionalen) Interaktionen bildeten jahrhundertlang die „kleine Welt“ in der die Menschen größtenteils lebten – und die zur Ausprägung gemeinsamer Dialekte, Bräuche und Werte führte.
Daraus resultiert die „Verkehrsauffassung“ der Verbraucher – und zumindest eines Teils der Produzenten. Daraus abzuleiten, dass der schnöde Satz „haben wir schon immer so gemacht“ als Maßstab gelten müsse, liegt dabei ebenso leicht auf der Zunge wie er falsch ist.
Aber wenn man sich darauf einließe als regional auf der ersten Stufe diejenigen Produkte anzunehmen, die dort auf „natürliche“ Weise wachsen, ohne Gewächshäuser, Beetheizungen, permanenter Beregnung und ohne sich nahezu schlachtreifer Vorzuchten andernorts – Stichwort Aale – zu bedienen?
Dies schränkt zu einen die Produktpalette signifikant ein, zum anderen aber öffnet sie weiteren Produkten neue Spielräume vor Ort produziert werden zu können, ohne lange Transportwege, worauf noch einzugehen sein wird. Ingwer aus Niedersachsen kann damit genauso „regional“ sein, wie die in Niedersachsen oder in Bayern gezüchteten Garnelen dies Kriterium eben nicht erfüllen.
Die Natur der Natur ist leider ihre ungleiche Verteilung, die Begabung der Heide schrumpft schnell auf Heidschnucken und die Wacholderbeeren für den Gin hinterher zusammen, während schon der nicht weit entfernte Bördeboden schon ganze 6-Gang-Menüs wachsen lässt, um es einmal etwas zu überspitzen. Heißt in der Konsequenz entweder den Gaststätten in Regionen mit erstklassigem Boden ein Mehr an Regionalität abzuverlangen und den Restaurants in weniger begabten Regionen weniger abzufordern? Ein Stück weit schon – und dies spiegelt sich ja bereits ohne eine bewusste Entscheidung in der Zahl der Empfehlungen im Genussführer. Wenn Maßstäbe über alles gelten, ohne auf die Potentiale der Regionen einzugehen, führt dies – nicht nur, aber auch – zu dem deutlichen Gefälle der Meldungen aus den opulenten bayerischen Gegenden zu den kargen Weiten der Norddeutschen Tiefebene.
Man wird also um einen Kompromiss kaum herumkommen. Wie sähe da ein Maßstab aus?
Auf der zweiten Stufe kommen dann die regionalen Rezepte in den Fokus. Leider blicken wir dabei in eine Sackgasse: Die regionalen Rezepte sind aus den regional verfügbaren Produkten und deren Verfügbarkeit entstanden und teilen damit das „Schicksal“ begabter oder karger Böden.
Aber: akzeptiert man die Stufe 1 der regionalen Produkte im obigen Sinne, erweitert sich das Angebot an „Regionalem“ durchaus und damit auf die Bandbreite der Speisekarte. Und umgekehrt „nichtregionale“ Produkte nach traditionellen Rezeptideen, Zubereitungsmethoden und Speisefolgen der regionalen „Küchenkulturen“ einzusetzen, dürfte den Regionalitätsgedanken kaum überstrapazieren.
Die „nichtregionalen“ Produkte bekommen damit allerdings keinen „Freifahrtschein“ in die Küchen und Restaurants, sie müssen zum einen in der betreffenden Region nicht oder nur in nicht akzeptabler Qualität vorhanden sein, sie müssen zum anderen den Kriterien von gut sauber fair genügen – vielleicht helfen insoweit doch Bio- oder Demeterzertifikate. Die Regel muss sein, je weiter die Transportwege desto höher die Anforderungen an nachhaltige Produktion, Tierwohlstandards etc. die auf den Speisekarten ebenso darzustellen wären, wie die genaue Herkunft (was eben nicht mit der Adresse des entsprechenden Zerlegebetriebs oder der Mühle getan ist). Wenn man zusätzlich das Kriterium der Regionalität im eingangs beschriebenen Sinne auch an die Produkte anderer Regionen anlegt und die Saisonalität (die daraus, weil nicht mehr in „unnatürlicher“ Umgebung gezüchtet, ohnehin folgt), sollte man den Rahmen des realitischerweise an Regionalität zu stellenden Forderungen erreicht haben.
Es setzt eine Bereitschaft der Restaurants und der Köche*innen voraus, sich mit der regionalen Küchenkultur aktiv auseinander zu setzen, deren Herkunft und zugrundeliegende Zwänge zur erkennen und deren Methoden anzuwenden und weiterzuentwickeln. Insoweit mit Recherche, „Schulungen“ und soziokultureller Einordung zur Seite zu stehen, könnte eine ebenso spannende wie sinnvolle Aufgabe für Slow Food sein. Und die Frage: brauchen wir solche Definitionen?
Definitiv ja, der Slow Food Genussführer hat einen hohen Standard. Er muss daher, will er nicht wie die jedem und jeder, die ein Smartphone (merke: das Phone ist smart, nicht zwingend die Nutzer*innen) zu bedienen wissen, offenstehenden populären „Restaurantbewertungsportale“, völlig beliebig und belanglos sein, seine Maßstäbe offenlegen, sie begründen können und konsequent umsetzen. Oder würden Sie dem eingangs schon zitierten Autofahrer, der mit 50 km/h in der 30er Zone ertappt wird, straffrei lassen, weil er von 30 Meilen ausgegangen ist? |